Oder: Warum Spiel und Spaß der Schlüssel zum Erfolg sind

An einem verschneiten Nachmittag im Januar machte mir Scarlet ein unglaubliches Geschenk: Einige annähernd perfekte Piaffe-Tritte. Mit angehobenem Rücken, Gewichtsverlagerung auf die Hinterhand, gebeugten Hanken und aufgerichtetem Hals. In völliger Freiheit. Ohne, dass ich danach gefragt habe. Oder überhaupt daran gedacht hätte. Denn betrachtet man ganz nüchtern unseren Ausbildungsstand, so sind wir eigentlich noch meilenweit von einer Piaffe entfernt. Wie ist es also möglich, dass Scarlet sie dennoch zeigt? Weil in jedem Pferd längst das steckt, was wir glauben, ihnen lernen zu müssen. Es liegt an uns, eine Umgebung und ein Klima zu schaffen, in dem das Pferd sich frei entfalten und zum Tänzer werden kann. Wie das gelingen kann, erfährst du in diesem Beitrag.

Mit Spiel und Spaß zum Erfolg.

Von Kindern und Pferden, deren Potentiale unerkannt blieben

Zunächst möchte ich dir zwei kurze Geschichten erzählen

Die erste handelt von Max, einem kleinen Jungen, der nie besonders gerne in die Schule gegangen ist. Nicht, dass er nicht gerne gelernt hätte. Nur hatte er einen Lehrer, dessen Bestreben einzig und allein darauf lag, die sehr talentierten Kinder zu fördern und zu diesen zählte Max in seinen Augen leider nicht. Max‘ Potentiale blieben unerkannt, er verlor stetig an Selbstvertrauen und fand sich schließlich damit ab, dass er eben dumm ist und es nie zu etwas bringen würde. Bis er eines Tages in eine eine andere Schule wechselte. Hier hatte er eine Lehrperson, die bemüht war, die Potentiale jedes Kindes zu erkennen und bestmöglich zu fördern. Max erkannte dank dieser Lehrperson, dass er ein höchst talentierter Zeichner ist, gewann wieder an Selbstvertrauen und Lebensfreude und ist heute anerkannter Künstler.

In der zweiten Geschichte geht es um Lilly, eine unglaublich brave, gutmütige Stute, die stets bemüht ist, ihrem Menschen zu gefallen und das beste für ihn zu geben. Leider ist sie aber nicht mit den herausragenden Gängen eines eigens für die Dressur gezüchteten Pferdes gesegnet, weshalb ihr Besitzer, ein begeisterter Turnierreiter, beschließt, sie zu verkaufen und sich stattdessen ein – in seinen Augen – besseres Pferd zuzulegen.

Ob die Geschichten wahr sind und ich wirklich einen Max und eine Lilly kenne? Wer weiß. Vielleicht kennt ihr aber ähnliche Geschichten, sei es von Kindern, deren Potentiale unentdeckt blieben, oder von Pferden, die den Vorstellungen ihrer Besitzer nicht entsprechen und deshalb durch ein scheinbar besseres ersetzt wurden. Vielleicht erkennt ihr auch die Parallelen zwischen den beiden Geschichten, zwischen den Situationen, in denen sich Lilly und Max befinden.  Was ich mit diesen Geschichten verdeutlichen wollte:

Potential steckt in jedem Menschen, genauso wie in jedem Pferd.

Potential steckt in jedem Pferd.

Kann oder macht ein Pferd etwas nicht, dann zeugt das nicht von seinem Unvermögen, sondern vom Unvermögen des Reiters, es ihm auf angemessene Weise verständlich zu machen und die Potentiale des Pferdes zu fördern. Ich lade euch hier und jetzt ein, alles zu vergessen, was ihr jemals von guten oder schlechten Pferden gehört habt, und euch mit mir gemeinsam auf eine spannende Reise zu begeben.

Was wir von spielenden Pferden lernen können

Unsere Reise beginnt auf einer Koppel, auf der freie Pferde ihrem pferdigen Alltag nachgehen. Grasen, Wasserstellen aufsuchen und hin und wieder miteinander toben und spielen. Beobachten wir sie eine Weile, werden wir feststellen, dass sie während dieser Spiele oftmals eben jene Leichtigkeit und Anmut und jene beeindruckenden Bewegungen zeigen, um die wir uns am Reitplatz oft vergeblich bemühen. Faule Pferde können plötzlich galoppieren, steife Pferde werden zu fliegenden Gummibällen, ängstliche Pferde strotzen plötzlich vor Selbstbewusstsein. Warum ist das so?

Weil Spielen eine intrinsisch motivierte Handlung ist. 

Spielen ist eine intrinsisch motivierte Handlung.

Was bedeutet „Intrinsische Motivation“?

In aller Regel werden Handlungen vollzogen, weil erwartet wird, dadurch ein Ziel zu erreichen, eine Belohnung zu erhalten oder eine Bestrafung zu vermeiden. Diese Handlungen werden als „extrinsisch motiviert“ bezeichnet,  weil die Beweggründe von außen, also extern, zugeführt werden. Die Handlung ist ein Mittel zum Zweck.

Es gibt aber auch Handlungen, deren Ausführung an sich schon als Belohnung empfunden wird, weil sie Freude bereiten, gute Gefühle hervorrufen, Interesse wecken etc.  und mit denen kein weiteres Ziel verfolgt wird. Diese Handlungen sind dann „intrinsisch motiviert“.

Um das ganze leichter verständlich zu machen, möchte ich ein Beispiel anführen: Liest man ein Buch, um im Anschluss eine Prüfung darüber zu schreiben, ist die Handlung des Lesens extrinsisch motiviert. Liest man das Buch aber, weil man es spannend findet und es einen mit Freude erfüllt, ist die Handlung des Lesens intrinsisch motiviert.

Bei Pferden verhält es sich nicht anders, auch sie können extrinsisch und intrinsisch motiviert sein. Im Training werden in aller Regel zwei Methoden angewandt, um Pferde zu einer Handlung zu bewegen. Entweder sie werden (steigendem) Druck ausgesetzt, den sie nur durch ein bestimmtes Verhalten beenden können, oder sie erhalten im Anschluss an eine Lektion ein Leckerli. In beiden Fällen ist das Pferd extrinsisch motiviert, der Grund für ihr Handeln wird von außen zugeführt. Beides funktioniert, beides kann aber auch an Grenzen stoßen. Nämlich dann, wenn das Pferd entscheidet, dass die Belohnung die Anstrengung des Verhaltens nicht wert ist.

Futterlob, genauso wie Druck, führt zu extrinsischer Motivation: Das Pferd zeigt eine Handlung in Erwartung auf eine Belohnung. (Foto: Lydia Rinner)

Hier setzt die Intrinsische Motivation an. Schaffen wir es, das Pferd sozusagen in den „Spiel-Modus“ zu versetzen, wird es nicht mehr darüber nachdenken, ob eine Bewegung anstrengend ist oder nicht. Wenn sie sich gut anfühlt, Freude und Glückszustände bereitet und sich das Pferd stolz und erhaben fühlt, wird sie gezeigt. Weil sie für das Pferd selbstbelohnend geworden ist. Und aus eben jenem Gemisch von positiven Gefühlen wie Stolz, Freude und Selbstbewusstsein entspringen die unglaublichsten Bewegungen.

Wo Ernst und Zwang durch Spiel und Spaß ersetzt werden, beginnt der Tanz. 

Weil Lektionen wie Piaffe, Passage, Levade völlig natürliche Bewegungen des Pferdes sind – sie sind Ausdruck seines Stolzes, Freude, Spiellust, Selbstdarstellung- und Präsentation.

Wo Ernst und Zwang durch Spiel und Spaß ersetzt werden, beginnt der Tanz.

Wie schaffe ich es, mein Pferd intrinsisch zu motivieren?

 🦄 Über Extrinsinsche zu Intrinsische Motivation

Da ein Pferd selten von Anfang an den Wunsch verspüren wird, mit uns zusammenzuarbeiten, werden wir zu Beginn nicht drum herum kommen, es extrinsisch zu motivieren. Ich kann hier empfehlen, mit Clicker und Leckerlis zu arbeiten. Warum? Weil die Handlung dann mit etwas positivem (Leckerlis) verknüpft wird und das Pferd bei jedem Click mit einem Gefühl von Stolz auf sich selbst durchströmt wird: „Juhu, ich bin toll, ich habe das Puzzle lösen können.“ Das hilft natürlich enorm, das Selbstvertrauen und die Freude des Pferdes zu stärken und damit auch seine Intrinsische Motivation, das Verhalten in Zukunft immer wieder zu zeigen. Ich würde nicht gänzlich ausschließen, dass das ganze auch unter Einsatz von moderatem, sanften (!) Druck möglich ist, allerdings wird es schwieriger, da die Handlung dann nicht schon mit etwas positivem belegt ist, sondern immer mit dem Gefühl von Zwang. Womit wir beim zweiten Punkt wären.

🦄 Autonomie und Freiwilligkeit 

Eine Voraussetzung für Intrinsische Motivation ist Freiwilligkeit und ein Gefühl der Autonomie, d.h. man kann selbst darüber entscheiden, ob man diese Handlung ausführt oder nicht. Das kannst du auch anhand deiner Erfahrungen überprüfen: Zu den Dingen, die dir wirklich Freude bereiten (z.B. Reiten 🙂 ), bist du wahrscheinlich nicht gezwungen worden. Genauso ist es bei unseren vierbeinigen Freunden. Nun wird es natürlich nicht immer möglich sein, dem Pferd volle Entscheidungsfreiheit zu geben. Aber es lohnt sich, dem Pferd genau zuzuhören und es nicht zu Dingen zu zwingen, von denen man genau merkt, dass das Pferd sie nicht machen möchte. Zudem kann man immer Settings einbauen, in denen dein Pferd wirklich frei entscheiden kann. Wie wäre es z.B. damit, eure gemeinsame Zeit hin und wieder direkt auf die Koppel oder in den Laufstall zu verlegen? So kann dein Pferd jederzeit gehen, wenn es keine Lust mehr hat. Und versprochen, es wird Lust haben – nicht immer, aber immer öfter, wenn es die Erfahrung macht, dass die Arbeit mit dir bereichernd und spannend ist 🙂

🦄 Spannende, sinnvolle und abwechslungsreiche Aufgaben 

Stell dir die Frage, welche Aufgaben IN DEN AUGEN DEINES PFERDES sinnvoll und spannend sind. Oftmals höre ich, wie Menschen sich darüber beklagen, dass ihr Pferd sich während der Freiarbeit selbstständig macht – nachdem sie es 10 Minuten um sich kreiseln haben lassen, weil sie freies Zirkel so toll finden. Vielleicht sieht es für uns Menschen toll aus, für das Pferd ist es nur eines: Langweilig, öde und oftmals auch noch schlecht für ihren Körper, da nicht auf Biegung und Stellung geachtet wird. Wie wäre es stattdessen mit Übungen, die die Kreativität, die Bewegungsfreude und Selbstbewusstsein  deines Pferdes fördern? Für die meisten Pferde ergibt es oftmals viel mehr Sinn, etwas nachzulaufen, etwas zu „jagen“. Der Einsatz von Spielzeug (alle möglichen Formen von Target, die mit Nase oder Bein berührt werden können, Poolnudel, Pylonen, Stangen … ) bringt willkommene Abwechslung ins Training. Außerdem bringt es mehr Spaß, mit seinem Menschen GEMEINSAM zu laufen, als sich von ihm jagen zu lassen. Beobachte dein Pferd genau und biete ihm die Möglichkeit, dir mitzuteilen, was ihm Freude bereitet und was es öde findet.

🦄 Bewegungspotential fördern 

Gemeinsames Spielen, besonders unter Einsatz verschiedener Spielsachen, fördern die Gymnastizierung und Athletik deines Pferdes. Unerwartete Wendungen, plötzliche Stopps, schnelles Wechseln der Gangart usw. fördern die Aktivität der Hinterbeine, die Beugung der Hanken, die Rückenaktivität usw. und machen dein Pferd damit auch selbstbewusster.

Gymnastizierung durch Spielen mit verschiedenen Utensilien.k

🦄 Bestrafung vermeiden 

Nichts ist so demotivierend und zermürbend für die Psyche wie Bestrafung, deshalb versuche diese zu vermeiden. Zeigt dein Pferd unerwünschtes Verhalten, frage dich nach den Ursachen – die zumeist beim Menschen liegen – und behebe diese. Fehlverhalten des Pferdes zu bestrafen und zu unterbinden ist Symptombekämpfung, nichts weiter. Kannst du an der Ursache gerade nicht viel ändern, biete deinem Pferd eine alternative Handlung an, die du dann bestärken kannst. So kannst du aus etwas Negativen etwas Positives zaubern.

🦄 Belohnen, belohnen, belohnen 

Du kannst dein Pferd gar nicht oft genug belohnen. Und zwar richtig, aus vollem Herzen und überschäumender Freude. Gib deinem Pferd das Gefühl, es ist ein Superstar. Genau das ist es nämlich auch 🙂

🦄 Und das wichtigste: Habe Spaß! 

Versuche allen Ernst und Stress zu vergessen und stattdessen bei dir selbst den ‚Spiel-Modus“ zu aktivieren. Sei verrückt, laufe, springe, lache, habe Spaß. Nichts motiviert ein Pferd mehr, sich seinem Menschen anzuschließen als seine eigene positive Energie und Lebensfreude. Und versuche nie zu vergessen:

Du und Dein Pferd, ihr müsst nichts, außer eine schöne Zeit miteinander haben. 

 

Du und dein Pferd müsst nur eines: Eine schöne Zeit gemeinsam haben.

Ich hoffe, ich konnte dir einige Anregungen mitgeben, wie wir uns das Spielverhalten und die Intrinsische Motivation im Training zunutze machen können und aus dem scheinbar untalentierstesten Pony einen wahren Tänzer machen können. Es steckt in jedem Pferd ❤️

Hast du weitere Fragen oder möchtest Unterstützung mit deinem Pferd, kontaktiere mich gerne.

Deine Tina