Die Anfänge…

Wie so viele Kinder habe auch ich meine ersten Erfahrungen mit Pferden in einer Reitschule gemacht, in der es üblich war, auf das gesattelte Pferd gesetzt zu werden, eine Stunde mit durchschnittlich sechs anderen Reitschülern in Gänsemarsch durch die Bahn zu hoppeln und anschließend abzusteigen, das Pferd dem nächsten Kind in die Hand zu drücken und heimzufahren. Ich hatte jedoch das Glück, relativ früh in die Hände einer Trainerin zu gelangen, die mir zeigte, dass zum Reiten so viel mehr gehört als nur auf dem Pferd zu sitzen und dass Pferde Lebewesen sind, die Bedürfnisse und Gefühle wie Menschen haben, keine für den Menschen zum Reiten gebauten Roboter. Sie und ihr unendlich großherziger, geduldiger, weiser Haflinger-Herr Mano, meine erste richtige Reitbeteiligung, legten den Samen, aus dem gedeihen und wachsen konnte, wer ich heute bin und wie sich mein Umgang mit Pferden heute gestaltet.

 

Das erste eigene Pferd und wie es mich erziehen sollte…

Das ganz große Umdenken wurde ausgelöst durch meine Hispano-Araber-Stute Scarlet, die als Jährling in mein Leben trat und mich damit vor die Aufgabe stellte, erstmals ein junges Pferd von Grund auf zu erziehen. Zumindest dachte ich, ich würde sie erziehen, in echt war es umgekehrt 😉

Ich wusste zu dieser Zeit schon sehr genau, dass ich mit dem konventionellem Weg der FN-Richtlinien relativ wenig anfangen konnte und entschied daher, Scarlet mithilfe einer Trainerin nach Natural Horsemanship zu auszubilden. Einige Jahre lang funktionierter diese Weg gut, ich war zufrieden und dachte, wir hätten das gefunden, wonach wir gesucht haben. Wir machten gute Fortschritte und fanden besonders in der Freiarbeit unsere große Leidenschaft. Bis Scarlet, mittlerweile zu einem sehr selbstbewussten, energischen und unbestechlichen vierjährigen Pferd herangewachsen, mir sehr deutlich zeigte, dass etwas ganz und gar nicht passte. Sicher gab es davor schon tausend Anzeichen, die ich einfach nicht wahrhaben konnte oder wollte, weil meine eigenen Wünsche zu laut waren, um die Stimme meines Pferdes zu hören und zu berücksichtigen. Jedenfalls sah Scarlet irgendwann keinen anderen Weg mehr, mir ihren Missmut und ihre Unzufriedenheit zu zeigen, als die Zäune des Reitplatzes zu zerreißen und zurück zum Stall zu galoppieren. Und das nicht nur einmal, sondern jedes Mal, sobald ich mit ihr auf den Reitplatz ging und anfing, Anforderungen an sie zu stellen.

Es kam eine schwere Zeit, in der ich viele Tränen vergoss und noch mehr gut gemeinte Ratschläge von unterschiedlichsten Leuten erhielt. Von „Nimm sie zurück ans Seil und kläre da, wer der Chef ist!“ bis zu „Setze den Zaun vorübergehend unter Strom, damit sie begreift, dass da kein Ausweg ist!“ war alles dabei. Und keiner davon fühlte sich richtig an. Während viele andere der Meinung waren, dass Scarlet einfach eine schwierige, pubertierende Zeit durchmachte und mehr Respekt vor dem Menschen und eine strengere Hand benötigte, sagte mein Herz mir etwas ganz anderes. Ich sah ein starkes Pferd, dass den Mut hatte zu zeigen, dass es unglücklich war, dass es sich unverstanden fühlte und dass es sich eine Veränderung wünschte. Und entschied, auf Scarlet und auf mein Herz zu hören und machte mich auf die Suche nach alternativen Wege.

Neuanfang mit Positiver Verstärkung…

Nachdem ich Tage und Nächte damit verbracht hatte, etliche Bücher und Internetseite zu durchstöbern, stieß ich schließlich auf die Positive Verstärkung und das Clicker-Training mit Pferden. Das Clicker-Training, das ursprünglich aus der Dressur von Delfinen kommt, findet heute immer mehr Anwendung im Hunde- und Pferdetraining und beruht, ganz kurz gesagt, darauf, erwünschtes Verhalten des Tieres durch einen Marker (z.B. dem „Klick“ des Clickers) und anschließendes Futterlob zu bestärken. Am Anfang war ich aufgrund der hohen Anzahl an Leckerlis, die verfüttert werden, sehr skeptisch, aber Bilder und Videos von Pferden, die auf der Koppel freudig herbeigaloppieren, eifrig und motiviert mitarbeiten, sich voller Stolz präsentieren und glänzende Augen haben, überzeugten mich, dem ganzen eine Chance zu geben. Eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Ich verwarf sämtliche Theorien, die besagen, dass man zum Leittier des Pferdes werden muss und dass man das Pferd in jeder Situation kontrollieren und führen muss, um Respekt und Vertrauen zu bekommen, und begann, das Pferd als gleichgestellten Partner zu sehen, der dasselbe Mitspracherecht wie ich hat, der die Zeit, die wir miteinander verbringen, aktiv mitgestalten und seine Vorschläge, Ideen und Wünsche einbringen darf und auch „Nein“ sagen kann. Und Scarlet blühte auf. Sie hat seitdem nie wieder einen Zaun niedergerissen, weil sie weiß, dass sie mir mitteilen darf, wenn sie etwas nicht möchte, und dass das auch akzeptiert wird. Durch die Arbeit mit dem Clicker lernt sie nicht nur schneller, sondern auch lieber und motivierter, ist erfüllt von Stolz und Freude und zeigt daraus entstehend Bewegungen, von denen manche Dressurpferde nur träumen können. Wir haben eine neue Dimension der Freundschaft, ehrlicher und authentischer, achtsamer und verständnisvoller, geprägt von Freiwilligkeit, gegenseitigem Zuhören und Akzeptanz der jeweiligen Bedürfnisse und Grenzen.

Persönlichkeitsentwicklung durch und mit Pferden…

Das klingt erstmal alles wunderschön und rosig, aber um ehrlich zu sein, es war und ist zum Teil immer noch schwierig. Gibt man einem Pferd eine Stimme und das Recht, „Nein“ zu sagen, wird es das früher oder später auch tun. Und was macht das mit uns? Wir fühlen uns abgewiesen, traurig, verärgert, enttäuscht. „Warum möchte unser Pferd nicht mit uns arbeiten? Wir tun doch eh alles…“ Ja, warum? Weil Pferde nun mal Lebewesen mit eigenen Bedürfnissen, Gefühlen und Plänen sind, die manchmal nicht unseren entsprechen. Das hat im Grunde überhaupt nichts mit uns zu tun und heißt deshalb auch nicht, dass das Pferd uns weniger liebt. Das heißt einfach nur, dass es jetzt gerade etwas anderes tun möchte. Das „Nein“ eines Pferdes zu  akzeptieren und nicht auf die eigene Person zu beziehen, erfordert ein hohes Maß an Selbstreflexion und Entwicklung der eigenen Persönlichkeit. Zudem verraten uns Pferde, wenn wir ihnen zuhören und ihnen ihre Stimme lassen, sehr viel über uns, über unsere momentanen Ängste und Träume, unsere Stärken und Schwächen. Sie sind unser Spiegel, in dem wir uns selbst erkennen können und zeigen uns auf, wer wir sind, wer wir sein möchten und wer was wir tun können, um diese Differenz zu überwinden.  Verbunden mit meinem schon immer bestehenden Interesse an der menschlichen Psyche und meinem Psychologie-Studium, widme ich mich deshalb mehr und mehr der Persönlichkeitsentwicklung mit Pferden.

„Das Pferd ist dein Spiegel. Es schmeichelt dir nie. Es spiegelt dein Temperament. Es spiegelt auch seine Schwankungen. Ärgere dich nie über dein Pferd; du könntest dich genauso gut über dein Spiegelbild ärgern.“ (-Rudolf C. Binding)